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Eine gleichtägige telefonische Reservierung (wie sich später heraus stellte beim Patissier) war problemlos. Kein Wunder, am Donnerstagabend verirrten sich nach und nach sieben Gäste ins Selma&Rudolph. (Vom Nebentisch hörte ich denn auch ein ironisches: „Voll wie immer...“) Natürlich wird auch hier das Geld mit Veranstaltungen und Caterings verdient, wie Chefkoch Dirk Warras bei der freundlichen Verabschiedung erzählte. Zusätzliche Hürde war sicher auch Sturmtief Xaver gewesen, das kaum zwei Stunden früher über Nord- und Mitteldeutschland gefegt war. Auf dem gut halbstündigen Fußmarsch vom Bahnhof konnte ich mich von der elementaren Gewalt überzeugen und noch am nächsten Tag auf einer Taxifahrt von Magdeburg nach Bremen über die Anfälligkeit der modernen Logistik sinnieren...
Selma Rudolph war der Name der weiland reichsten Magdeburger Unternehmerin, in deren bombastischer Gründerzeitvilla nach umfangreicher Renovierung (wieder) das Haus des Handwerks residiert. Schon zu DDR-Zeiten gab es hier ein bekanntes Hotel und im Souterrain eine Restauration. Davon berichten alte Rechnungen und andere Erinnerungsstücke, die in Schaukästen im schönen Foyer und auf dem Weg zu den untadeligen Toiletten etwas über die Geschichte des Hauses erzählen.
Für große Empfänge ist die beeindruckende Rotunde vorgesehen, für Gesellschaften ein Kabinett. Zum à-la-carte-Restaurant führen ein paar Stufen vom Straßenniveau hinunter durch eine schmiedeeiserne Pforte und den Garten. Man speist also im Souterrain. Hinter dem früher wohl den Dienstboten und Lieferanten zugewiesenen Nebeneingang öffnet sich kleines Foyer mit Empfang. Ich wurde höflich willkommen geheißen, mein Mantel verschwand im Wandschrank und ich durfte mir einen Tisch aussuchen. Da der Platz im Erker bereits besetzt war, wurde es ein Ecktisch mit gutem Blick durch den sechseckigen Raum und in Nähe zu den Weinkühlern. Die erst einige Jahre zurück liegende Sanierung im Wert von angeblich 10 Millionen Euro ist deutlich zu spüren. Der Raum ist deckenhoch in warmem Kirschholz verkleidet. Aus demselben Holz die mit lindgrünem Stoff bezogenen Stühle und Bänke. Dazu ganz klassisch eingedeckte Tische, die recht eng stehen, was bei der überschaubaren Gästezahl aber kein Problem ist. Trotz der nur wenigen Fenster im Erker und der recht niedrigen Decke fühlt man nicht erdrückt. Dazu tragen ein paar Spiegel und nur sparsam eingesetzte Fotografien aus alten Zeiten bei. Aber genauso die Decken- und die vielen Wandlampen im art-decó-Stil und das indirekte Licht im umlaufenden, abgehängten Deckenkranz. Und sicherlich der helle, moderne Fußboden, von dem ich mir nur sicher war, dass es kein Marmor oder anderer Naturstein ist. Und auch kein Kunststoff, dazu ist er zu kühl, wie in schnelles Abtauchen mit sensorischer Prüfung ergab (Ja, gebt es mir...). Aber elfenbeinfarben und rosa, hochglanzpoliert und völlig ohne erkennbare Struktur außer offenbar gewollten „künstlerischen“ Schlieren. Erst dieses Internetz klärte mich später über die vielfältigen Möglichkeiten zementgebundener Böden, Spachtelmassen mit Schmuckkörnern („Zuschlagstoffe“) und Hochpoliertechniken auf. Mich hat das optische Ergebnis durchaus überzeugt. Ein Blick in das Kabinett bestätigt den Eindruck. Der dort verlegte Velours-Teppichboden greift den grünen Stoff der Sitzmöbel auf und ist damit too much: Puppenstube im 80er-Design.
Trotzdem: Hier ist mit zeitgenössischen Materialien und Techniken ein konservatives, bürgerliches Ambiente entstanden, quasi die gegenreformatorische Antwort auf protestantisch-kühle Designer-Tempel.
Kann man mögen, muss man nicht.
Umso wichtiger, dass Gäste nicht in altmodischer, steifer Manier, sondern freundlich und offen empfangen werden.
Im Großen und Ganzen gelang das dem Service auch. Herr Warras ist ein Koch mit Leib und Seele, der gerne Auskunft über Speisen und deren Zubereitung gab.
Unterstützung bekam der Chef von einer jüngeren Dame vom Fach, die ihre Aufgaben hoch konzentriert, zügig und fehlerlos (Garderobe, Fehlanzeigen der Karte, rechtzeitige Nachfragen) versah. Allerdings auch, ohne ein Wort oder einen Blick zu viel zu verlieren. Schnell dahin - schnell davon! schien das Motto am Tisch zu sein. Irgend wann sprach ich sie darauf an und erfuhr, dass sie nach 12 Jahren in Salzburg erst seit zwei Tagen wieder in der Heimat sei. Dass da der Fokus zunächst auf den Abläufen lag, ist verständlich. Auch wenn das souveräne Geplauder mit den Gästen wohl nie ihr Steckenpferd wird. Passt aber zu meinen allgemeinen Erfahrungen mit dem Dienstleistungssektor in Magdeburg, der gelegentlich den MITROPA-Ton nicht ganz unterdrücken kann. Daran gemessen war es hier angenehm, zumal sich auf meine Bitte noch Sous-Chef und Patissier Tim Böttcher trotz Feierabend an meinen Tisch setzte und ein paar Fragen zum Dessert beantwortete.
Die Weinberatung von Herrn Warras war an meinen Vorlieben, nicht am Deckungsbeitrag orientiert. Statt hochpreisigem Weißen aus dem Burgund kam ein 2011er Chardonnay aus dem Columbia Valley ins Glas, der mir mit Barrique-Note, aber einem nicht zu vollem Körper gut gefiel. Ebenso die dafür in Rechnung gestellten 32,5€.
Die angenehme Preisgestaltung setzte sich mit 3,9€ für einen Martini bianco als Aperitif und 4€ für einen Moscatel mit schönem Rosenbukett als Dessertbegleiter fort.
Begonnen hatte der Abend mit hausgemachtem angenehm lockerem Mischbrot mit Anis und Kümmelnoten. Der begleitende Kräuterquark
schmeckte stark nach Dill und gehörte zu der von mir wenig geschätzten sehr festen Fraktion. Er wurde schnell gegen Butter und Maldonsalz
ausgetauscht.
Aus der teilweise überraschend rustikalen Karte („Selma‘s Handwerkeressen“) stellte ich mir eine kleine Speisebegleitung zum Wein zusammen:
Anti Pasti mit Speck
Rinderconsommé mit Leberknödel
Vegetarische Frühlingsrolle mit Mango und Linsencurry
Variationen vom Bachsaibling
Schweinerücken „Strindberg Art“
Gebrannte Vanillecreme mit Weinbergpfirsich und Lavendelblüteneis
Ich bat darum, die Portionen - wo möglich - auf Menü-Größe anzupassen, was der Küche gelang. Das ist leider nicht immer der Fall und verdiente schon mal ein Lob.
Als weiteren Appetithappen bekam ich eine lockere Wildschwein-Terrine, die von Rosenkohl, schwarzer Walnuss, Cranberry und Holunder geschmacklich und thematisch sehr passend begleitet wurde.
Angerichtet auf einem Strich Pumpernickel-Honig-Masse sah das Ganze auch ausnehmend gut aus. Ein toller Beginn, den ich nicht erwartet hätte! Dafür lebe ich dann gern mal meine persönliche Hassliebe zu klebrig-harten Schwarzbrot-Krümeln in den Backenzähnen aus.
Auch die Vorspeise zum Menü-Einstieg war eine Schweinerei, aber eine ganz andere.
Fetter Bauch vom regionalen Borstenvieh war mit Salz und einem Kräuter-Rub versehen und für 4 Monate bei 0,5 Grad in den Eiskeller der Villa gehängt worden. Das Ergebnis war ein famoser Speck nach Lardo-Art. Salzig, ohne zu beißen und die Kräuter schmeckten immer wieder deutlich durch. Mit den Brot-Chips einfach fingerlickin‘ good! Confierte Tomate, leicht warme Paprika, Zucchino mit schönem Röstaroma, Aubergine, Pesto und schließlich Erde von schwarzen Kalamata-Oliven sorgten für eine ebenso vielseitige wie harmonische, mediterrane Schmackigkeit
Aus-ge-zeich-net!
Auch die Suppe hat mir sehr gut gefallen.
Eine dunkle Consommé, aber eine von bestem Handwerk. Lt. Herrn Warras auf drei Kilo Fleisch gekocht und nochmal mit der gleichen Menge geklärt. Das war am Gaumen ebenso zu schmecken wie auf den Lippen zu spüren. Intensiv hoch zwei! Was ebenso für die Leberknödel galt: 70% vom namensgebenden Produkt, dazu Rindfleisch, zur Bindung altbackenes Brot, die gewolfte Masse u. a. mit Thymian und Majoran gewürzt und einen Tag durchziehen lassen.
Das Ergebnis bestach durch Lebergeschmack, Lockerheit und angenehm pikante Würzigkeit.
Große Klasse!
Aus der kleinen Auswahl vegetarischer Gerichte wählte ich die Frühlingsrolle. Als Menü-Größe wurde nur eine schräg geschnittene Hälfte serviert.
Der Teig war überaus knusprig, das ist für mich immer ein Pluspunkt. Auch positiv, dass kein Eigengeschmack des Öls irritierte. Die Füllung mit Licht und Schatten. Konnten die nicht zu schlabberigen Glasnudeln und die Zuckerschoten noch überzeugen, störte eine spitze, undefinierbare Säure die Harmonik. Mango konnte ich beim besten Willen nicht erkennen. Dass das besser geht, bewies die Küche mit dem fruchtigen Kalamansi-Schaum, der das Curry von festen Linsen und deutlichem Kreuzkümmel schön ergänzte. Den süßlichen Mitspieler Pastinakencreme hätte es für mich nicht gebraucht, war aber auch kein Ausfall. Der lag vielmehr mit nicht ausgereiften, absolut geschmacklosen Aprikosen auf dem Tisch. Was soll denn das? Wenn es eine bestimmte Ware jahreszeitlich oder wetterbedingt nicht in vernünftiger Qualität gibt, dann ersetzt sie oder lasst sie weg! Optisch war der Teller doch auch so gelungen, u.a. durch die Kleeblüten. Licht und Schatten wie häufig bei vegetarischen Gerichten, die nicht im Fokus der Küche stehen.
Der Fischgang kam in Form von drei leicht erwärmten Filets vom Bachsaibling.
Abwechslung erfreut. Hier kam der Süßwasserbewohner zum einen mariniert auf warmen Fenchel mit Wachtel-Spiegelei. Vielleicht einen Tick zu salzig, jedenfalls für meinen Geschmack.
Zum zweiten knusprig auf der Haut gebraten mit den Blättern vom bunten Mangold und sehr präsentem Knoblauch. Diese Spinatabwandlung war mir einen Tick zu kurz geschwenkt worden und dadurch noch recht hart. Aber das Risiko, dass die Blätter durch zu lange Garzeit matschig werden, ist natürlich groß.
Am besten gefiel mir die gebeizte Variante auf den roten Stängeln des Mangolds mit ihrer süßen, an Wacholder erinnernden Würzigkeit. Eingelegte Senfsaat bot bei allen drei Kombinationen eine interessante Ergänzungsmöglichkeit.
Vor dem Fleisch wurde im eisgekühlten Glas Brombeersorbet angeboten, begleitet von Minze nebst Heidel- und Johannisbeeren, die mit Russian Standard parfümiert waren.
Die leichte Bitterkeit und Schärfe ist für mich immer eine tolle Ergänzung zur säuerlichen Frucht.
Gut erfrischt erwartete ich die zweite Schweinerei des Abends: Ein Rückenstück unter Schalotten-Senf-Kruste.
Im Selma&Rudolph wird Fleisch von bäuerlichen Erzeugern aus der Region verwendet, genannt „Börde-Schwein“. Eine spezielle Rasse steckt wohl nicht dahinter. Das Fleisch sehr fest, ohne trocken zu sein. An sich natürlich ein Qualitätsmerkmal, war es mir fast zu hart. Zudem hätte ich intensiveren Geschmack erwartet. So stand die süße Schärfe der Auflage im Vordergrund, zu Recht ein Klassiker. Auch die glasierten gelben und roten Beten gefielen, der Lauch kam leicht angeröstet und als Mousseline solide daher. Das mit Spinat gefärbte Korallensegel war ein handwerklich gut gemachter Hingucker. Ein zwar nicht begeisternder, aber sehr guter rustikaler Teller.
Blieb noch das abschließende Dessert.
Die Crême brulée war geschmacklich und handwerklich gelungen und passte gut zum cremigen Lavendeleis. Da sie laut Herrn Böttcher frisch überflämmt worden war, stand sie wohl leider zu lange am Pass und somit kalt geworden. Auch hier eine ansprechende Präsentation und mit KLZZ (Kakaoläuterzuckerzungen) als weiteres Gimmick.
Für das Ragout aus Weinbergpfirsichen galt erneut: Alles zu seiner Zeit!
Auch, wenn sich auf manchem Teller die eine oder andere (undramatische) Schwäche offenbarte: Am äußerst positiven Eindruck, den ich vom kleinen Team des Selma&Rudolph gewinnen konnte, ändert das nichts.
Klare Empfehlung!