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Zudem hatten mich im Vorfeld schon einige Flaschen aus der Weinkarte nervös gemacht, auch der Preise wegen. Aber wir hatten ja die Woche über eher spartanisch getafelt (Gastroguide berichtete…)
Anders als Carsten zu Corona-Zeiten betraten wir nach dem Überqueren des Parkplatzes das Restaurant durch die ansprechende Lobby, in der kurz vor 18.00 Uhr bereits ein Pianist spielte. Gern hätten wir entsprechend Carstens Empfehlung an der Bar noch einen letzten Drink genommen, aber nach 23.00 Uhr war das Foyer leider schon verwaist.
Das Kai3 besticht durch eine klare, aber wohnliche Innengestaltung, wozu sicher auch die sehr bequemen Sessel mit Lederbezügen in unterschiedlichen Brauntönen und transparente Vorhänge beitragen. Die mobilen Trennwände der Pandemie sind verschwunden, so dass sich ein offener Raum ergibt, in dem die Tische mit ihren bodenlangen Decken so großzügig verteilt sind, dass ich an Eisschollen erinnert wurde. Von den Gesprächen am „Neben“Tisch hörte man jedenfalls kaum etwas, sehr angenehm. Die breiten Holzdielen in leicht ausgeblichener Optik greifen natürlich das hier auf Sylt allgegenwärtige Nordsee-Thema auf. Aber was sollte passender sein, wo die See doch fast unmittelbar jenseits der am Abend leeren, aber grundsätzlich wunderbar gelegenen Terrasse beginnt.
Der Blick durch die bodentiefen Fenster auf das Wattenmeer, über den kleinen Hafen von Hörnum hinüber nach Föhr und Amrum ist jedenfalls sehr schön.
Freundlich wurden wir von Restaurantleiter Noah Kamnitz begrüßt, der im Wechsel mit Sommelier Tim Blasczyk und zusammen mit einer perfekt ausgebildeten und gut aufgelegten, jungen Brigade den Service des Abends jederzeit voll im Griff hatte. Manchmal hakte es etwas mit dem Abräumen leerer Teller, aber besser so als gehetzt zu werden. Das Gegenteil war der Fall, es wurde ein sehr entspannter Besuch, schon beginnend damit, dass mir der empfohlene Champagner nicht recht schmeckte und nach Abfrage der Vorlieben einfach eine gar nicht für den offenen Ausschank vorgesehene Flasche entkorkt wurde. So schafft man sich zufriedene Gäste.
Ich hatte mir dazu einen kleinen Snack bestellt
und auch der Wunsch, dass die dazu gereichten Blini doch bitte noch einmal in der gebutterte Pfanne aufgefrischt werden, war kein Problem.
Kein Alleinstellungsmerkmal, aber immerhin eine Besonderheit sind die kleinen Karten im Aufsteller, die uns den Abend über die Gerichte und - auf der Rückseite - die Gedanken des Küchenchefs dazu näherbrachten.
Eine gute Gedächtnisstütze für den Service und ganz bestimmt für den säumigen Berichterstatter, denn am Ende des Diners gab es die Sammlung in einem Blechkistlein.
Die Küche startete in den genussvollen Abend mit drei schon sehr hübsch anzuschauenden Kleinigkeiten, die auf verschiedene knusprige Teigwaren aufbauten:
Rechts gefiel uns eine eigenwillige Interpretation von Labskaus überraschend gut: Im Baiser von roter Beete war Matjes mit Aubergine vermählt und von Gurkencrême und Kartoffelchip begleitet.
In der Mitte enthielt die Tartelette gezupftes Lammfleisch und Kartoffelstückchen mit etwas Biss. Schnittlauch-Gel und Rettich-Crême sorgten für Schärfe.
Ganz links dominierte süßer Senf, der von zwei Crackern eingefasst war und von Obatzder, frischen Radieschen und Grün getoppt wurde. Ein unerwartet bayerischer Gruß.
Nach dem Fingerfood kam die Fingerschale mit der Handtuch-„Praline“. Schon oft gesehen (zuletzt wieder im bianc in Hamburg), was es ja nicht schlechter macht.
Das warme Zitronenwasser tat auch später noch seine Dienste, aber zunächst ging es an die Getränkeauswahl. Nach der Devise „Man gönnt sich ja sonst auch was!“ streckte ich mich nach dem obersten, für mich noch gerade erreichbaren Regal und wurde fündig:
Die halbe Flasche Montrachet-Montrachet wurde erst einmal im Dekanter an die Luft gelassen.
Bis dahin unterhielt uns ein Scharzhofberger aus der Parzelle Pergentsknopp wie erwartet prächtig.
Und für später kam statt Rotwein ein Coulée de Serrant (Chenin Blanc von Joly, glasweise).
Fazit: Es gibt sicher andere großartig gemachten Weißweine. Aber für meinen Geschmack keine besseren. Speziell vor dem Burgunder hatte ich etwas „Angst“. Wenn man sich einen lang gehegten Traum erfüllt, besteht ja auch immer die Möglichkeit, dass die hochgeschraubten Erwartungen enttäuscht werden. Wurden sie aber nicht. Nonplusultra. Glück. Puh…
Die Küche meldete sich dann aber wieder deutlich vernehmbar mit einem kräftigen Takoyaki zu Wort: In der kleinen weichen Teigpraline war bei mir eine schöne Bolognese versteckt, lackiert mit einer Reduktion von geschmacklich starkem Sommertrüffel, der zum Schluss auch reichlich darüber geraspelt wurde. Dazwischen aber noch eine Scheibe wunderbar geschmolzener Käse aus dem Perigord. Schleck! Lechz!, wie man in Entenhausen sagen würde.
(Wer wissen möchte, wie die Teigbällchen original hergestellt werden, stelle sich auf die Düsseldorfer Immermannstraße vor das Takoyaki Teppachi!)
Beim vegetarischen Fan gab es Räuchertofu und rote Beeren. Am Gaumen wohl ein Unentschieden, aber bei der Optik eindeutiger Sieger!
Nach diesem Fanfarenstoß konnte die Küche die Ouvertüre sanfter ausklingen lassen:
In Maisbrotsand panierte Entenlebercreme passte toll zu einem Eis von Mais und weißer Schokolade. Aufgefrischt wurde das cremige Vergnügen von Limetten-Gel und -Abrieb.
Üblicherweise wäre jetzt Brot dran gewesen. Stattdessen servierte das Kai3 Tebekes, ein dänisches Plundergebäck, dazu Hörnumer Meersalz und aufgeschlagene Butter mit Nuss-Stückchen und corporate identity.
Warum wohl die Butter auf dem Tisch verblieb, als das sehr leckere Gebäck „verschwunden“ war? Vielleicht, weil alle Gäste sowieso um ein weiteres Stück bitten? Wir taten das auf jeden Fall - wäre doch schade um die Butter gewesen…
Dann ging’s ins Menü hinein. Während die Dame am Tisch bescheidene 6 Teller (183€) gewählt hatte, ging ich mit einem zusätzlichem Gang fpr 15€ mehr „all-in“.
1. Sylter Grüne „Sauce“
überraschte sofort, denn die (natürlich ) 7 verschiedenen Salzwiesenkräutern blieben im Rohzustand und waren mit einer Sülze vom Schleswig-Holsteiner Wagyu aus nachhaltiger Aufzucht kombiniert. Das Fleisch kam von sous vide gegarter Zunge, Maske und Herz - bis vor einigen Jahren völlig unter Wert gehandelte Stücke. Der frisch-säuerliche, leicht pikante „grüne“ Geschmack war sofort präsent, die kräftige Sülze blieb geschmacklich bis zum Schluss stehen. Im Inneren versteckte sich eine jodig-salzige Sauce auf Joghurtbasis. Junge Radieschen sorgten für Knack und filigran gebackene Kartoffelringe schmeckten solo ausgezeichnet, gingen im Gesamtspiel allerdings unter. Überraschend frühlingshafter Auftakt im Spätsommer, der perfekt die angekündigte „Nordic Fusion“ umsetzte.
Ein Seitenblick zum fleischfreien Auftakt meiner Frau lohnte gleich aus mehreren Gründen.
Optisch sowieso:
Geschmacklich: Fermentierter weißer und grüner Spargel, Erbsensalat, Basilikum-Limetten-Minz-Öl und eine gelierte Pho-Essenz (auf der Basis von Misopaste), die den frischen Elementen eine Umami-Tiefe verlieh.
Und schließlich wegen des eigentümliche Titels:
1. Mensch Jannik!
Der soll nämlich als Auszubildender mal eine Pho so lange in der Kühlung vergessen haben, bis sie durchgeliert war. Sie fragen sich, ob die Geschichte wahr ist? Wenn nicht, zumindest gut ausgedacht!
2. Himmel un Äd
Dieser Titel hätte auch gut und gerne Mare e Monti oder Surf’n’Turf heißen können. Zunächst wurde ein tolles Bach-Forellenfilet aus einer Bio-Aufzucht in der Lüneburger Heide mit kräftiger Blutwurst-Crème, Granny-Smith-Gel, Kartoffel-Meerettich-Püree und Algenchips getoppt. Dann am Tisch noch eine wunderbare Röstzwiebeljus mit Schnittlauch und knackigem Forellenkaviar sowie eine aus der Blutwurst gezogene Sauce angegossen. Ich hatte spontan den auf der Karte angekündigten „Nachschlagwunsch“, meiner Liebsten wurde die Forelle von ihren ausdrucksstarken Begleitern zu sehr in den Hintergrund gedrängt.
3. Fernweh
Trotz des sehr profanen Titel sollte es gemäß dem Kärtchen auf dem Teller „Exotisch - Lecker - Aufregend“ zugehen. Norddeutsch zurückhaltend übersetzt: Europäischer Hummer in Thai-Aromatik.
Der festfleischige Schwanz des Königs der Krustentiere thronte auf spicy Mangosalat und war von Mangopüree gekrönt. Im Gefolge ein weicher Dumpling, der erst gedämpft und dann angebraten worden war. Die Nudeltasche verbarg eine geschmacklich sehr beeindruckende Hummerfarce. Ich sag ja: Auf die inneren Werte kommt es an. Zu süß war das Ganze nicht, denn am Tisch wurde ein Tom-Kah-Gai-Schaum mit Koriander-Chili-Öl angegossen, der zwar wenig Hühnergeschmack, aber eine subtil eingebundene Schärfe und natürlich die ganze Gewürzwelt Siams mitbrachte. Perfektes einheimisches Produkt mit von mir geliebten exotischen Aromen: Mein Favorit des Abends.
Weiter ging’s mit
4. Sehnsucht nach Sonne
Wenig überraschend stand jetzt Mediterranes auf dem Programm:
Das Bries vom nordfriesischen Kalb wurde vor dem sanften Braten in einer Orangenreduktion mariniert, auf Pastinakenstampf gebettet und mit Focaccia-Crumble bestreut. Darüber Fenchel als frischer Salat und feines Püree sowie Stabmuschel, die ich nicht geschmeckt habe. Auch hier war der Service gefragt: Die Sauce basierte auf in Vanille gegarter Paprika, der Chorizo einen kräftigen Touch geben sollte. Mir betonte die Komposition trotzdem etwas zu sehr die süße Seite, Pastinake hätte es vielleicht nicht sein müssen. Aber das ist Geschmacksache und lecker war’s auf jeden Fall. Dass meine Sehnsucht nach Sommer und Sonne gestillt wurde, kann ich nicht unbedingt behaupten. Aber mit solchen Zuschreibungen ist das immer so eine Sache.
Der nächste Gang setzte da noch einen drauf und kündigte
5. Die Liebe meines Lebens
an. Die saß zwar neben mir (und eine zweite duftete im Burgunderglas), aber die Küche hatte mit diesem Teller durchaus Argumente. Es ging um Vertrautheit, um kulinarisches Nachhausekommen und da ist ein so geiles Hühnerfrikassee schon mal eine gute Wahl. Brust vom 15 Monate trocken gereiftem Schwarzfederhuhn, sous vide gegart und dann gebacken, eine Velouté nach dem Rezept der … nein, nicht Oma, sondern Ehefrau des Küchenchefs, bereichert von Spargel, Morcheln, Crème von frischen Erbsen und schon entsteht ein heimisches Soulfood der Extraklasse! Hatte ich schon den Hühnerhaut-Crumble erwähnt? Yummy! Da ließ sich die die Sterneküche nicht lumpen und spendierte noch eine Praline vom gezupften Schulterfleisch mit einer dezenten Estragon-Mayo und vielen frischen Kräutern, die immer wieder eigene Akzente setzten. Nachsichtig nahmen wir zur Kenntnis, dass nach dem vorhergehenden Sommergang hier wieder der pure Frühling regierte. Stark!
Der Titel des Pre-Desserts ließ wieder rätseln:
6. Breakfast at Landon‘s
Dass es um Wärme, Kraft und Freundschaft gehen sollte, kann ich angesichts der Aromen gut nachvollziehen: Auf einer Schnitte reifem Espresso-Pfeffer-Brie wurde zart schmelzende Baileys-Eiscrème präsentiert, deren Kühle die starken Aromen von ausgezeichnetem Perigord-Trüffel, einer Pfeffer-Ahorn-Reduktion, Kaffee-Mascarpone-Schnee und zwei Bacon-Hippen nach und nach zum üppigen Vorschein kommen ließ. Ahorn und Bacon gaben auch einen Fingerzeig auf das amerikanische Frühstück, das Küchenchef Felix Gabel regelmäßig mit einem kanadischen Freund im Landon‘s einnahm, wie der Service aufzuklären hatte.
Meine Frau genoss glücklich; ich war froh, dass es mit einem „Hagebutten-Cassis“ von Sylter Heckenrosen, Gewürzen und Tee auch eine Erfrischung gab.
Mit dem abschließenden
7. Ritter der Kokosnuss
sollte schließlich mit Erwartung, Enttäuschung und freudiger Überraschung gespielt werden.
Das Kokosfleisch entpuppte sich als Ziegenkäse, die dunkle Schale als karamellisierte weiße Schokolade. Dünne Rhabarberscheiben waren in ihrem mit Champagner verfeinerten Sud kräftig rot gezogen. Dazwischen sorgte ein Petersiliensorbet für eine grüne Kräuternote. Ein in den Aromen sehr modernes Dessert, in dem klassisch süße Noten deutlich zurückgefahren waren. Kein Wunder, dass der Süße Fan lange nicht so begeistert war wie ich.
Aber nicht lange, denn die Küche schickte ein reichhaltiges Potpourri:
Einen frischen Mandel-Yuzu-Keks, Pralinen mit einer Füllung aus Bronzefenchel-Sorbet und Pesto (also doch wieder Kräuter…) und kandierte, schokolierte Walnüsse.
Später kamen noch Futjes (friesisches Schmalzgebäck, gibt’s eigentlich im Winter!) mit Nussbutter und Ananas gefüllt, eine Lakritz-Himbeer-Malzbier-Praline sowie ein Marshmallow mit Tonkabohne-Eis.
Ich gab dem Fan was des Fans ist und labte mich stattdessen an einem Verdauerle der selten anzutreffenden, aber sehr zu empfehlenden Art!
Das Kai3 hatte sich geleert, aber Hektik kam nicht auf. Der Service verabschiedete uns herzlich, die Küchencrew wünschte per Karte eine gute Nacht und wir schlenderten bei hellstem Mondschein durch den menschenleeren Hafen in Richtung Bushaltestelle, um uns mit wenigen anderen Nachtschwärmern von der Südspitze der Insel zurück nach Rantum bringen zu lassen.
Fazit: Ein kulinarisch wunderbarer Abend auf solidem 1-Stern-Niveau. Mir war es etwas zu viel „Story“ drumherum, aber entscheidend ist auf dem Teller. Und da konnten wir unseren ersten Sylt-Urlaub kaum freundlicher enden lassen.