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"In diesem Freiburger Traditionslokal fristet die Kartoffel kein (Nacht)Schattendasein"
Geschrieben am 09.04.2020 2020-04-09 | Aktualisiert am 27.02.2021
"Man muss kein Weltumsegler sein, um diese afghanische Gewürzinsel zu entdecken"
Geschrieben am 01.04.2020 2020-04-01 | Aktualisiert am 27.02.2021
Ein Vorteil von Freiburg ist zweifellos, dass man im Prinzip alles relativ schnell zu Fuß oder mit den Öffentlichen erreichen kann. So machten wir uns an jenem Samstagabend per pedes auf den Weg zum „Grumbeergebäude“. Das am Mittag in der Hausbrauerei Feierling genossene „Inselhopf“, ein malzig-trübes Zwickel-Bier, musste ja schließlich an der frischen Luft wieder abgebaut werden.
Schon von außen machte das hell illuminierte Anwesen, in dessen Parterre sich das Restaurant befand, einen sehr gepflegten Eindruck.
Außenansicht
Durch die Fenster grüßte geselliges Treiben, denn es war zu dieser Zeit schon einiges los. So mussten wir zunächst ein paar Minuten an der Theke ausharren bis der reservierte Zweiertisch freigegeben wurde. Das machte uns nichts aus, denn die freundliche Dame vom Service, die uns in Empfang nahm, war kommunikativ und versorgte uns gleich mit der Speiselektüre.
Ein winterlich fruchtiger, gänzlich ohne Sekt auskommender „Quitte-Sprizz“, ein Haus-Apéro mit Quitten- und Apfelsaft, Mandelsirup, etwas Zimt und Mineralwasser, wurde mir quasi als kleine Entschädigung für das Warten angeboten. Da willigte ich doch gerne ein. Meine Frau zeigte hinsichtlich dieses alkoholfreien „Bestechungsversuchs“ deutlich mehr Disziplin und lehnte dankend ab. Das Feierling-Helle vom Mittag schien bei ihr noch nachzuwirken.
Direkt vor uns auf dem Tresen hatte man eine Schiefertafel mit der Tagesempfehlung in Position gebracht. Rehfleischküchle an Spätburgunderjus mit hausgemachtem Apfel-Rotkraut und Kartoffelklößen (17,80 Euro) versprach saisonale Gutbürgerlichkeit für Freunde gehaltvoller Wintergerichte. Ein genaueres Studium des Speiseangebots nahmen wir dann jedoch sitzend vor. Unseren Tisch hatten wir da nämlich bereits okkupiert.
Das Innere des Lokals wirkte trotz des großen Andrangs recht gemütlich. Von der Optik her irgendwo zwischen zünftigem Bistro und gediegenem Wirtshaus angesiedelt, beherrschte wertiges, dunkles Holzmobiliar die Szenerie. Selbst eine ausrangierte Kirchenbank wurde als leidlich bequeme Sitzgelegenheit genutzt. Die unverputzte Wand aus grob behauenen Sandsteinen hätte auch in jeder Pfälzer Weinstube für heimeliges Rustikalambiente gesorgt.
Gastraumimpression
Zusammen mit der angenehmen, durchaus stimmungsvollen Beleuchtung, für die sich ein bunter Stilmix unterschiedlichster Hängelampen verantwortlich zeigte, wurde uns das Ankommen erleichtert. Hier ließ es sich aushalten – so viel stand fest.
Mein Blick fiel auf die ansehnliche, mit dunklen Schieferplatten verkleidete Theke, hinter welcher der fleißige Schankprinz ganze Arbeit verrichtete.
Innenansicht
Den „Quitte-Sprizz“ aufs Haus hatte man mir schon an den Tisch gebracht. Besteck und Servietten lagen bereits im Bastkörbchen bereit. Ein Blümchen, ein Windlicht und zwei rote Stoffsets bevölkerten den Rest der blanken Tischplatte. Eine Karaffe Tafelwasser (0,5l für 3,40 Euro) war schnell geordert und wurde von einer der jungen Servierdamen zeitnah geliefert. Der halbe Liter naturtrübes Waldhaus Bier – natürlich „ohne Filter“ – gelangte vom Fass für faire 4,40 Euro in den schlanken Hopfenkelch. Die Freiburger Kartoffelfestspiele konnten also beginnen.
Doch vorher möchte ich noch ein paar Worte über den tadellos agierenden Service verlieren. Die Mädels standen angesichts der Komplettauslastung des Ladens an diesem Abend richtig unter Strom. Sie mussten nebenbei noch etliche Spontaneinkehrer ohne Reservierung auf später vertrösten, und sich an jenen, die im Eingangsbereich auf freie Tische warteten, mit einem Tablett voller Getränke vorbeidrücken. Trotz allem Umtrieb bewahrten sie stets den Überblick. Kurzum: die Bedienfraktion vom Kartoffelhaus lieferte eine einwandfreie Serviceleistung ab und vermittelte dabei den Eindruck, dass der Bewirtungsbetrieb hier wie geschmiert läuft. Wer sich so freundlich, aufmerksam und gästeorientiert präsentiert, hat an dieser Stelle ein Extralob verdient.
Es folgen einige Anmerkungen zur vielfältigen Speiseauswahl, die wir in Form einer äußerst ansprechend gestalteten Karte studieren durften. Gleich auf der ersten Seite wurde auf die Existenz von Sonderkarten für Intoleranzgeplagte (Laktose, Gluten oder beides zusammen) bzw. vegan gestimmte Zeitgenossen hingewiesen. Ein Glück, dass wir alles vertragen und (fast) alles essen, so mein Gedanke bei der mit einem Bild von diversen Kartoffelsorten geschmückten ersten Seite der Speiseliteratur.
Danach lieferte ein lesenswertes Statement zum Regionalbewusstsein, dem sich die Gastgeber des Kartoffelhauses bei der Auswahl ihrer Produkte anscheinend besonders verschrieben haben, Informatives für den neugierigen Konsumenten mit nachhaltiger Gesinnung. Von 19 verschiedenen Lieferanten – darunter viele biodynamisch arbeitende Klein- und Kleinstbetriebe – war da die Rede. Die Herkunft der aus dem regionalen Umfeld stammenden Zutaten und Rohstoffe wurde mit Hilfe einer übersichtlich gestalteten Karte visualisiert.
Ein paar der Betriebe, wie beispielsweise der Lindenbrunnenhof der Familie Binder aus Forchheim, der traditionelle Kartoffel-, Gemüse- und Obstsorten kultiviert, oder die auf die Zucht von Simmentaler Weiderindern spezialisierte Familie Reitter aus Schwanau-Ottenheim (Reitterhof), wurden mit kleinen Porträts, bei denen ihre Arbeit kurz vorgestellt wurde, bedacht. Respekt, da merkt man, dass den beiden Gastgebern die Unterstützung regionaler Betriebe eine echte Herzensangelegenheit ist. Auf der Internetseite kann man sich unter der Rubrik „Nah klar!“ noch genauer informieren. Mehr Transparenz bezüglich der Herkunft der verwendeten Grundzutaten geht eigentlich kaum.
Neben einer Reihe interessanter Aperitifangebote (Lillet Berry mit Weißburgunder Sekt, Hugo „Rosa“ mit Rhabarber- und Holunderblütensirup sowie Hugo „Blackforest“ mit schwarzem Johannisbeersaft und Heidelbeeren) listete die erste Seite sechs verlockend klingende Suppen und Vorspeisen mit klarem Saisonbezug. Zum Beispiel eine Kürbis-Kokossuppe mit gebratenen Jakobsmuscheln oder gebackene Süßkartoffelsticks mit Sesam und leichter Erbsencrème. Das klang schon deutlich besser als die übliche Palette an deutschen Vorgeschmäckern, die es in bürgerlicher Gasthausatmosphäre sonst so zu bestellen gibt.
Einmal umgeblättert und man befand sich inmitten einer weiteren, saisonal geprägten Auswahl an „winterlichen Genüssen“. Sie beinhaltete mannigfaltige Variationen rund um den Feldsalat, den man wahlweise mit allem Möglichen (Kartoffelküchle, Rumpsteakstreifen, ja sogar mit Filets vom Bachsaibling und Schwarzwaldforelle…) bestücken konnte. Außerdem sorgten ein paar schmackhaft anmutende Veggie-Gerichte für Aufsehen. Darunter auch das Ofengemüse „Arche Noah“, bei dem edle Kartoffelraritäten und Wintergemüse (Pastinaken, Kürbis, Maronen) kombiniert wurden und zusammen mit Kräuterquark und einem bunten Salat den Fleischverzichter mit Entdeckergeist ansprechen sollten.
Auf der Standardkarte tummelten sich dann nochmals diverse Vorwegklassiker. Von der deftigen Kartoffelsuppe mit unterschiedlichsten Einlagen über eine asiatisch angehauchte Fischsuppe bis hin zu Lachforellentartar und Rindercarpaccio war einiges geboten. Die gleichen Wahlmöglichkeiten wie vorher beim Feldsalat standen dann auch für den gemischten Salatteller zur Verfügung. Ähnliches galt für die Ofen- und Pellkartoffelgerichte, die man mit bis zu drei hausgemachten Dips und einem kleinen Salat veredelte. Immer ganz vorne mit dabei: Kräuterquark, Knoblauchdip, Pink Hummus (dank Roter Bete), Erbsencrème und Frankfurter Grüne Sauce.
Auf den folgenden Seiten des umfangreichen Köchelverzeichnisses wurde weiter drauflos „kartoffelt“ was die Knolle so hergab. Die Gratins und Aufläufe in diversen Variationen klangen dabei genauso appetitanregend wie die Bratkartoffeln, die Kartoffelpuffer, das Püree und die ebenfalls mit Dips oder hausgemachter Mayo servierten Pommes-Berge.
Für die fleischessende Zunft lockten Rumpsteak vom Simmentaler Weiderind, Putensteak aus dem benachbarten Elsass, Schweinesteak aus dem Schwarzwald sowie die üblichen Verdächtigen der gutbürgerlichen Fleischküche (Schnitzel, Entrecôte, usw.). Wem das alles noch nicht reichte, der konnte sich an Raclette, gebackenem Schafskäse, Kartoffelauflauf mit Lachs oder Filet vom Bachsaibling aus der Ortenau auf Fettuccine mit Basilikum-Mandel-Pesto erfreuen.
Normalerweise wäre ich bei einem solchen Mammutprogramm eher skeptisch an die Sache heran gegangen. Aber bei genauerem Hinsehen waren es im Grunde immer die gleichen Garnituren, in denen die Kartoffelgerichte auf das Porzellan gehievt wurden. Ein ausgeklügeltes Baukastenprinzip, mit dem sich eine große Auswahl generieren ließ und gleichzeitig ein breites Geschmacksspektrum abdeckte. Für jeden Geschmack war hier was dabei. Für Entscheidungsschwache sicherlich kein Heimspiel.
Als Pfälzer Kulinarnomade freute ich mich natürlich ganz besonders auf die Kartoffelsuppe, da sie außerhalb meiner Heimat oft gar nicht hoch genug geschätzt wird. Und das, obwohl sie doch dem ersten Hunger mit einer deftigen Sämigkeit zu begegnen vermag, die das Warten auf die Hauptspeise zur reinsten Wohltat werden lässt.
Es gab sie in zwei Größen und mit unterschiedlichen Einlagen. Ich entschied mich vorsorglich für die kleinere Portion (6 Euro), die mit Schnittlauchgehäcksel, einem ordentlichen Klacks Crème fraiche, knusprigen Croutons und angebratenem Speck geliefert wurde und fühlte mich schon beim ersten Löffel wie ein Bewohner des Planeten „Erdapfel“.
Kartoffelsuppe
Meine letzte Kartoffelsuppe hatte ich im Kölner Kultgasthaus Essers genossen und damals war es ihre schmackhafte Einfachheit, die mich schwer beeindruckte. Diesmal begab ich mich dank würzig-krosser und cremig-frischer Begleitumstände komplett freiwillig in Suppenhaft. Zusammen mit dem malzig-herben Waldhaus Zwickelbier war das ein erhabener Genussmoment, bei dem sich die tadellos zubereitete Wohlfühlterrine ungeniert aus dem Vollen löffeln ließ.
Gut, die Portion hätte vielleicht ein wenig schmaler ausfallen dürfen, denn mein Sättigungsgrad war nach dem sauber geleckten weißen Porzellan schon etwas vorangeschritten. Und da war ja auch noch ein kleiner bunter Beilagensalat, den es zum Kartoffelauflauf mit pikantem Lammhack, Schafskäse und grünen Bohnen (15,80 Euro) dazu gab. Diesen gab es übrigens kurz vor dem Eintreffen der Hauptgerichte. Er war mit einem feinen, essigsauren Dressing angemacht und hielt sämtlichen vegetabilen Frischekriterien stand.
Beilagensalat
Meine Frau hatte sich doch tatsächlich für eine Salatvariante entschieden. Sensation! Aber nicht für irgendeine. Nein, es musste der gemischte Salatteller mit Kartoffelküchle und Pink Hummus (13,80 Euro) sein. Wobei die frittierten „Zwei-Mann-Kroketten“ mit einer cremigen Ziegenkäsefüllung aufwarteten. Gleich drei Exemplare hatte man auf den aus Blatt- und Gemüsesalaten bestehenden Frischeteller gelegt. Der Rote-Bete-Hummus wurde à part im kleinen Schälchen dazu gereicht.
Salat mit Kartoffelküchle
Ich dagegen gab mich lieber mit weitaus weniger subtilen Raffinessen zufrieden. Meine Schichtstufenlandschaft aus einer mehligkochenden Kartoffelsorte und nicht übertrieben gewürztem Hackfleisch vom Lamm lag unter zweierlei Soßen begraben. Der leicht nach Thymian duftende Tomatensugo hätte völlig ausgereicht. Warum man da noch einen halben Eimer Bechamel drüber kippen musste, war mir schleierhaft. In der FCK-fanatischen Pfalz würde man zwar sagen „Olé Rot-Weiß, so laaft die G’schichd!“, aber auf dem Teller war mir das dann doch des Beigusses zu viel.
Kartoffelauflauf mit Lammhack und viel Soße
Denn ich fand die Kombi – bis auf den Saucen-Overkill – eigentlich ganz gelungen. Ein mediterran akzentuierter Kartoffelauflauf, dessen Würze vom Fleisch und vom Schafskäse her resultierte und der mit grünen Bohnen und frischem Rosmarin etwas aufgepeppt war. Handwerklich tadellos umgesetzt und fachlich einwandfrei gegart. Dazu ein wirklich sättigender Winterteller, der den Rückweg zu Fuß obligatorisch erschienen ließ.
Dass wir danach noch im O’Kellys, einem trubeligen Irish Pub gegenüber der futuristisch anmutenden Universitätsbibliothek, aufschlugen, lag wohl in erster Linie am Bierdurst. Dass in seinem Gefolge noch eine stattliche Anzahl höllisch scharfer Chicken Wings von mir vertilgt wurden, sei nicht verschwiegen. O’Hara’s IPA und ein Mixgetränk namens „Down Under“ (was Bundaberg Ginger Beer mit Guinness gemischt so alles mit dir macht…) besänftigten die gereizten Geschmackspapillen gleich pint-weise.
Oh Freiburg, was hatten wir bei dir eine schöne Zeit. Hoffentlich sehen wir uns bald mal wieder…