"Nur eine Frage der Zeit!"
Geschrieben am 18.10.2018 2018-10-18 | Aktualisiert am 01.11.2018
"Bericht zu einem Abendessen"
Geschrieben am 18.10.2018 2018-10-18
"Alles klar bei Klinkels"
Geschrieben am 30.06.2018 2018-06-30 | Aktualisiert am 01.07.2018
"Alles sehr zart"
Geschrieben am 30.04.2018 2018-04-30
Samstag, der 13. Oktober 2018, war ganz fett rot angestrichen in meinem Kalender. Eine Verabredung fand statt, auf die ich mich sehr freute. Ein Wiedersehen mit Frau und Herr Borgfelder! Wir hatten, weil ich sowieso unbedingt gerne hinwollte, siehe mein Bericht vom Juni 2016, uns für einen Abend im Apicius verabredet, dem Gourmetrestaurant des Jagdhauses Eiden. Ich übernahm die Reservierung dort, Borgi buchte uns in das Hotel 53 Grad Kolb im Bad Zwischenahner Ortsteil Dreibergen ein. Das Hotel Jagdhaús Eiden vermietet nur für mindestens 2 Nächte. Im Kolb nächtigt es sich aber auch hervorragend. Mission accomplished!
Gegen späten Nachmittag trafen wir am Meer ein und irgendwann waren dann auch die Borgis da, und es ging per Taxi zum Jagdhaus Eiden. Nach einer kurzen Fahrt standen wir vor dem großen Gebäudeensemble mit pickepackevollem Parkplatz, wie immer war das Hotel gut ausgelastet.
Um ein paar Ecken und durch ein paar Türen ging es dann in die renovierten Räume des Apicius. Gediegene Gastlichkeit, zurückhaltend gestaltetes Ambiente
Die Decke über den Tischen war recht niedrig abgehängt
Aber trotzdem kam ein geborgenes Gefühl auf. Freundlich wurden wir in Empfang genommen, die Garderobe wurde uns abgenommen, und nachdem geklärt war wer der buchende Herr Carsten1972 war und wer der Herr des begleitenden Paares, wurden wir an unseren Tisch geführt. Wasser wurde geordert, und wir fanden in all dem Wiedersehensgesprächen Zeit auch einen Aperitif zu bestellen, Cremant für meine Frau, Frau Borgi was alkoholfreies, für die beiden Herren ein weißer Port, leider nicht mit Zeste serviert, sondern mit einer Zitronenscheibe, da zuckte er gleich zusammen, unser Rezensionsgroßmeister, und kassierte erste mahnende Worte seiner besseren Hälfte, nicht zu kritisch zu starten! Der Erregungslevel wurde zurück gefahren und die junge Auszubildende kam mit ermahnenden Worten davon, ich hätte das gar nicht als so großen Unfall angesehen!
Die Karten wurden gereicht, und nun ging es zur Sache! Es gibt zwei Menüs, eines mit tierischem Eiweiß, eines für den Vegetarier. Veganer und andere Unerverträglichkeitsgeplagte müssen sich vorher melden, dann stellt sich die Küche darauf ein. Gab es bei uns nicht, die Qual der Wahl war aber auch so groß genug! Das Eine oder das Andere, ich war wirklich unsicher, denn das vegetarische Menü las sich sehr verlockend, genauso aber das mit Fisch und Fleisch. Meine Frau war schon sicher, wegen all der Meeresgetiers würde es das Carnivorenmenü werden, ebenso wählte der Borgi das aus. Seine Frau tat kund, sich für das Herbivorenmenü zu entscheiden, und was tat Omnivor Carsten? Der tat das für ihn sehr ungewöhnliche und entschied sich für das Grünzeug! Wo, wenn nicht in einer so ambitionierten Küche würde es ein überzeugendes vegetarisches Menü geben? Also los, bevor ich es mir anders überlege! Alle 8 Pflanzengänge!
Die Zeit verflog im Eilgang, soviel gab es zu erzählen, denn plötzlich, noch bei den Aperitifs, ein ersten Küchengruß, Aperos genannt. Beim ankündigen der Gänge eine großartige Innovation, es gab eine Art Visitenkarte eines jeden Ganges, der im Detail noch mal alle Zutaten kundtat. Eine große Hilfe auch jetzt beim erstellen der Kritik, denn sonst wäre es bei der Vielfalt des gebotenen Unmöglich, alles zu rekapitulieren. Im ersten Küchengruß also Räucherlachs, Kartoffel, Kaviar
Optisch sehr ansprechend, aber noch kein geschmacklicher Höhepunkt, sehr viel besser die flüssige Pilz Praline
das war ein aromatischer Gaumenfüller! Norddeutsch der Krabbencocktail Apicius
geschmacklich beim Lachs anzusiedeln, auch noch nicht wirklich herausragend der Pulled Pork Burger
aus der Bentheimer Sau, die ist ja zur Zeit sehr angesagt. Enttäuschend die letzte Komponente
Bocadillo genannt, iberischer Pata Negra Schinken und Tomate, auf einem arg durchgeweichten weißen Brot. Dieser erste Küchengruß war okay über alle 5 Komponenten, aber er rechtfertigt rein gar nicht oben beschriebene Euphorie, aber gemach, möglicherweise ist das ja Absicht von Herrn Extra, sonst kann er sich nicht steigern! Nach diesem Gang Brot, Butter und eine Creme.
Hausgemachtes Foccacia mit Rucola und Kartoffel, sehr lecker und es fiel schwer, davon nicht zu viel zu essen. Für mich kam darauf nur die bretonische Bordier Butter in Frage, die vom französischen Hersteller mit Olivenöl und Zitrone verfeinert wird, meine Tischgenossen lobten die Frischkäsecreme. Das war geschmacklicher schon eher die erhoffte Sterneküche. Nach diesem Schmankerln der zweite Küchengruß, das eigentliche Amuse Gueule, bestehend aus 4 Komponenten. Pochierte Auster mit Salzkräutern und Estragoncreme
Ein wilder Mix aus dem Meer, wieder Auster, Sepia, Krabbentartar, Krabben, und vielem weiteren
Optisch ein Höhepunkt, auf einem Brocken Granit serviert, Sepiachips, auf den Krabben festgeklebt waren mit Krustentiercreme und Salzkräutern.
Leider fehlt ein Foto von der sehr guten Krustentiersuppe, die war optisch schlicht, aber herausragend bei Geruch und Geschmack. Das war, im kulinarischen Sinn, eine ordentlicher Zwischenspurt auf ein sehr viel höheres Niveau, Herr Extra! Äußerst fein, es ging in die Richtung, die ich mir erhofft hatte.
Und weil man anscheinend im Apicius Angst hat, dass die Gäste nicht satt werden oder unter akutem Backwerkmangel leiden könnten, gibt es über das ganze Menü immer die Möglichkeit, sich an der hausgemachten Brötchenauswahl zu bedienen.
Da heißt es Vorsicht walten lassen, wenn man noch nicht mal beim ersten Gang angekommen ist.
Das war ja jetzt nur Vorspiel, mal schauen, was Herr Extra im eigentlichen Menü zu bieten gedachte! Los ging es mit Tomate aus dem eigenen Garten
Bunte Tomaten aus dem eigenen Garten, in verschiedenen Texturen, roh-mariniert, getrocknet, flüssig. Wer Tomaten so liebt wie ich, der ist wie schon wehmütig, wenn die letzten eigenen Tomaten gepflückt werden, jetzt heißt es warten, bis es die nächstes Jahr wieder gibt, Wintertomaten kaufe ich nicht. Dazu eine Zitronenschalencreme, Basilikumcreme und Büffelmozzarella war das eine allerfeinste Version des klassischen italienischen Gerichts! Weiter ging es mit Kohlrabi
Das war keine Pasta! Der Ravioli war aus Kohlrabi, hauchdünn, gefüllt mit Kartoffel-Nussbuttercreme, aufgegossen mit einem warmen Saft von Kohlrabi mit Schnittlauchöl, garniert mit Blüten und Kräutern, unterschied sich Borgis Version des Gerichts nur unwesentlich von der seiner Frau und mir als zweitem Gang servierten. Steigerung über jeden Gang bisher!
"Gemüse" war der Hauptgrund mich für das vegetarische Menü zu entscheiden
Optisch war dieser Gang der Höhepunkt des Abends! Geschmorte Zwiebel gefüllt mit einem Ragout aus Pastinake, Karotte, Sellerie. Darauf eine Art Onsenei, sous vide gegart, beim Verzehr vermischte sich das Eigelb aller feinst mit der Creme in der Zwiebel. Dazu eine Röstzwiebelcreme und ein Schaum aus Zwiebel und Kartoffel, für den Crunch ein paar gepuffte Kartoffeln! Sehr, sehr, sehr gut das Ganze!
Nach diesem Aromenknaller ein Sorbet zum runterfahren des Geschmackssinnes. Amalfi Zitronen, daraus war es gemacht worden und diese edle Zitrusfrucht verdient es, mit einem Champagner aufgegossen zu werden. Hier war es ein Champagnerschaum, ich hätte einfach Champagner auch völlig okay gefunden!
Das Sorbet hatte die Geschmacksnerven wieder frei geschaltet und so konnte folgen
Butternutkürbis³, das waren drei Versionen von Kürbis. Großartig das Risotto mit Kürbisbrunoise und Kürbiskernen, ausgebacken. Zweite Variante war geschmorter Kürbis mit Kürbissaft und Kürbis-Hollandaise. Damit es kein Kürbis-Overkill wurde, war noch Chicorée dabei, geschmort und roh mariniert. Das war auf einem Niveau mit Gang 3!
Jetzt wieder ein Foto, ist auch absolut nötig, denn optisch übertraf sich die Küche hier noch einmal
weil es so schön anzusehen war, noch ein anderer Blickwinkel
Waldspaziergang nannte sich das. Besser gesagt, Herbstwaldspaziergang, Pilze und Äpfel waren das Thema des Teller. Da waren eine Schokoladencreme mit Wacholder (geil!), ein Fliegenpilz mit Apfelfüllung in der Haube und Steinpilzcreme im Stil, Pinienkerneis, Preiselbeeren-Gel, Wacholdertrüffel, Schokoladenstreusel und Sauerklee. Alle am Tisch waren entzückt!
Das war erst Gang 6, wie konnte sich das noch steigern? Gemach, gemach, erst Mal ein Pre-Dessert
Baba au Rhum nannte es sich, mir unbekannt, aber Borgi war hocherfreut. Hefegebäck in Rum getränkt, mit glasierter Aprikose gekrönt, Vanilleschaum und Ron Zacapa Rum. Lecker, aber schlichter in allen Aspekten als die Gänge vorher. Vielleicht war ein kleines Einbremsen durch die Küche auch sehr notwendig vor dem Folgenden.
Also zum süßen Teil des Menüs, Frau Borgfelder blühte auf! Quark und Beerenfrüchte
Wieder ein optischer Knaller, die Himbeere mopste sich meine Frau, keine Ahnung wie die geschmeckt hat, dass war aber so ein Gelee Ding! Molekularküche, sie war sehr angetan. Eine Quarkmousse war dabei, mit weißer Schokolade, Quarkschaum, Cassissorbet, Flüsse Blaubeeren-Praline, geeiste Himbeere, Blaubeerkaviar, Vanillecreme, Yuzugel, frische Beeren, Walderdbeeren-Gelee, Pavlova und Tagetes.........puh, so viel leckere Sachen auf einem Teller war schon fast Geschmacksnervenüberforderung.
Am Ende waren wir aber trotzdem noch nicht, denn nun rollte der Käsewagen heran
Dazu gab es Aprikosensenf, Sauternes Gelee (eigentlich trinke ich den lieber), Erdbeermarmelade mit Cayenne, Olivenchutney, hausgebackenes Baguette und Früchtebrot zur wie immer verlockenden Käseauswahl vom Affineur Waltmann aus Erlangen. Nach dem man sich dann durch seine Auswahl Käse gekämpft hatte, dachte man bei sich, okay, dass war es, nichts geht mehr! Pustekuchen, noch ein Wagen rollte an
Petit Fours waren drauf und drin! Immer wenn man denkt, es geht nicht mehr, findet sich noch ein klitzkleiner Spalt im Magen, in den das passt
dann war aber Schluss! Nach genau 5,5 Stunden Essen der absoluten Oberklasse! Getrunken haben wir auch
Ein Riesling, VDP großes Gewächs aus Rheinhessen, ein Pouilly Fume aus Frankreich und ein Premium Chardonnay aus Südtirol, eine halbe Flasche Rot, ebenso aus Frankreich, damit konnten alle glücklich werden zum Menü. Die Digestifauswahl
ging beim besten Willen nicht mehr! Großartiges Essen! Tim Extra besuchte uns zum Ende des Abends noch am Tisch und konnte unser aller Zufriedenheit seinem Küchenteam kundtun.
Ebenso erfreulich wie die Küche unter Tim Extra agierte der Service unter der Leitung von Herrn Marco Scheper! Auch wenn die junge Auszubildende am Anfang Startschwierigkeiten hatte, über das Menü war die Serviceleistung sehr gut und wir haben uns sehr wohl gefühlt. Auch manch kritisches Nachhaken unseres Seniors am Tisch wurde erfreut angenommen. Unter der Rechnung der Satz: Vielen Dank, das hat viel Spaß gemacht! Nicht nur Ihnen, lieber Service, auch uns hat es das gemacht.
Fazit eines äußerst schönen Abends mit den Borgis in Bad Zwischenahn im Apicius im Jagdhaus Eiden! 1 Michelin Stern, 17 von 20 Punkten im Gault Millau nennen die beiden bedeutendsten Gourmetführer, sie haben recht und mit ein bisschen Glück und Konstanz wird sich das noch verbessern, da bin ich sicher! Aber nur mit neuen Weingläsern, wenn man denn wirklich was anmeckern will!