"Sterneküche am Meer"
Geschrieben am 18.08.2016 2016-08-18 | Aktualisiert am 21.08.2016
"Formidables Hotel!"
Geschrieben am 27.06.2016 2016-06-27 | Aktualisiert am 27.06.2016
"Gepflegtes Restaurant direkt am Zwischenahner Meer"
Geschrieben am 28.03.2016 2016-03-28
Das Apicius, benannt gleich nach einer ganzen Reihe römischer "Gastronomen", war über Jahre eine sichere Bank für die Liebhaber gediegener Speisen und Preise. Schon mein Vater hat hier Küche mit Stern probiert (und für sich verworfen).
Anfang 2013 war Schluss, das Konzept schien wirtschaftlich nicht mehr tragfähig, wie an so vielen anderen Standorten, selbst mit Hotelhintergrund.
Aber nicht einmal zwei Jahre später werden die Gourmets nach einem Soft-Opening jetzt wieder von Mittwoch bis Freitag ab 18:00 Uhr verwöhnt, am Sonnabend zusätzlich auch schon mittags. Und bereits im selben Jahr hat der 35jährige, aus dem Ostfriesischen stammende Chef Tim Extra (ja, wirklich Extra) erneut einen Stern, zwei Hauben mit 16 Punkten und drei Diamanten nebst dem Varta-Tipp erkocht. Da über den Restaurants in der kleinen Hansestadt an der Weser seit einigen Jahren verlässlich kein Stern mehr glänzt, müssen die hiesigen Feinschmecker mind. bis nach Cuxhaven (Sterneck) oder eben in die Speckaal/Schinken/Baumschul-"Metropole" des Ammerlandes reisen. Tatsächlich waren außer uns noch ein weiteres Paar aus Bremen vertreten, sowie noch zwei weitere kleine Tische besetzt. Das recht leise Klaviergeklimper störte nicht sehr, immer der gleiche Stil geht mir nach drei Stunden meist auf die Nerven, aber ich hatte ja ein freundliches Gegenüber zum angeregten Gespräch. Acht Gäste an einem Mittwoch-Abend kann sich durchaus sehen lassen. Zumal der Service allein durch den jungen, unkompliziert-freundlichen Gastgeber Marco Scheper mit nur einer jungen Unterstützungskraft gewuppt wurde. Flott, aufmerksam, fachlich versiert, natürlich und dabei höflich, ohne aufgesetzt zu wirken. Auch die angenehmen Gespräche, am Ende des Abends ebenso mit Tim Extra, der jeden Tisch mit petits fours verabschiedete, trugen dazu bei, dass wir uns sehr wohl und als Gäste geschätzt gefühlt haben.
Zur Verfügung standen zwei 6-Gang-Menues, aus denen problemlos frei gewählt und kombiniert werden konnten. Ich bin ganz und gar kein Freund von "Menue nur tischweise". Das ist im Prinzip nichts anderes, als das inzwischen wohl verschwundene "Draußen nur Kännchen". Was die Küche nicht leisten kann, soll sie nicht anbieten.
Los ging es mit einem Potpourri regional inspirierter Amuses gueules
Knusper-Amuses
Eindrucksvoll u.a. die rote Beete in Kirschlack
Rote Beete mit Kirschlack
die Mousse vom Ammerländer Schinken im Knusperröllchen oder der Vollkorn-Räucheraal-Lolli .
Räucheraal-Lollies in Vollkorn
Bereits damit kündigte die Küche Kreativität und Können sehr schön an. Für den ersten Hunger kamen zudem mehrere hausgebackene leicht knusprige Brötchen mit jeweils unterschiedlichen, eher mediterranen Aromaten - Oliven, Thymian, Rosmarin. mediterrane Brötchen
Dazu passte sowohl die in Kegelform servierte Paprikabutter, als auch die Petersilien-Crême-fraiche. Fast selbstverständlich ergänzt von Olivenöl (im Porzellankännchen) und Fleur de sel.
Mit dem Amuse bouche folgte ein erster Höhepunkt: Pochierte Auster (tippe auf Fine de claire) auf Algengelee mit ihrem Schaum. Entlockte uns schon die Präsentation ein "Wow!"
pochierte Auster auf Algengelee
war der Geschmack wie der Sprung durch eine sich brechende Welle. Selbst meine beste Ehefrau von allen, die mit Austern sonst so gar nichts anfangen kann, zeigte sich begeistert. Keine Chance also für mich auf einen zweiten Meeresgruß. So vorbereitet hätte es mit dem ersten Gang weiter gehen können.
Die Küche überraschte uns jedoch mit einem weiteren Gruß, diesmal ganz dem Land zugewandt: Confiertes Wachtel-Ei auf Käsecreme mit Schinken, Brotchip und Senfcreme. Serviert im ausgehöhlten Hühnerei und mit Wachtelfedern schön dekoriert.confiertes Wachtelei......auf Käsesauce mit Speck
Das war rustikal und saftig zugleich. Außerdem zeigte sich hier schon die Lust von Herrn Extra an farbenfrohen Kreationen, die sich noch kräftig steigerte. Auch, wenn der Spruch alt ist, es stimmt schon: Das Auge isst mit.
Dazu wurde ein Gavi di Gavi eingeschenkt.
Beim ersten Gang hatte ich mich für die Jacobsmuschel entschieden, die in zwei kleinen und etwas festen Abschnitten kam, begleitet von verschiedenen Texturen von Kichererbse.
Jacobsmuschel Kichererbse GranatapfelTexturen von der Kichererbsen
Für Würze sorgte Ras el Hanout, für Fruchtigkeit einige Granatapfelkerne. Die Minifalafel waren etwas trocken, man kennt sie kaum anders... Ein guter, aber nicht berauschender Auftakt. Dazu Weißburgunder vom Weingut Sommerach in Franken.
Meine Frau war dagegen von ihrer unglaublich grünen Velouté aus Erbsen und Gartenkräuter begeistert, die am Tisch an ein confiertes Eiden-Ei, gekrönt mit Imperialkaviar angegossen wurde.
Velouté von Erbsen und KräuternEiden-Ei mit Imperialkaviar
Ein Eiden-Ei? Das Jagdhaus hat auf dem weitläufigen Gelände eigene Gemüsebeete und hält eben auch Hühner. Nicht nur zur Freude der jüngsten Gäste, die mit den Großeltern hier logieren (Minigolfanlage vorhanden). Auch die Gourmets müssen nicht fürchten, dass gerade der Aldi-Lastwagen vom angeblichen Bio-Eierhof fährt (alles schon da gewesen).
Beim Zwischengericht waren wir uns einig und auch wieder nicht: Auf beiden Seiten des Tisches wurden ausnehmend schöne Exemplare Kaisergranat mit gebeiztem Ibericoschwein, Paprika und Avocado serviert.
Kaisergranat gebeiztes Iberico AvocadoKaisergranat mit zuviel Piment dÉspelette...
Während drüben die zarte Textur des Schwanzes gerühmt wurde, gefiel mir das Mundgefühl des sich schon in ein Mus auflösenden Fleisches gar nicht. Hinzu kam, dass nach meinem Gusto an den Saucen und auf dem Tier zuviel Piment d'Espelette verwendet worden war, so dass das an sich so schmackhafte Krustentier fast unterging. Also geschmacklich. Sehr passend dagegen die perfekte Reife der Avocado. Das Schwein fand ich, als die Erbsen beiseite rollte... (Ganz alter Witz, ich weiß). Im Ernst, die drei sehr kleinen, festen Stücke erinnerten mich an Pökelschinken. Ein Teller, an den ich höchste Erwartungen hatte und der mich vielleicht gerade deshalb enttäuschte. Dagegen war meine Göttergattin rundum zufrieden. So kann's gehen. Im Glas ein Pinot Gris Réserve 2013 von Johanninger von der Nahe, prachtvoll.
Beim Hauptgang jedoch allüberall verzückte Gesichter. Ich hatte mich nicht ganz regional für den neuseeländischen Ora King Lachs mit seinem Rogen entschieden, dem "Rolls Royce unter den Zuchtlachsen". Von Autos verstehe ich wenig, den Vergleich mit Wagyu kann ich besser beurteilen; er ist nicht ganz falsch, denn die Verteilung des Fetts im Gewebe führt zu einer wunderbaren Zartheit bei kräftigem Geschmack. Ein hohes Filet mit intensiver oranger Färbung, deutlich glasig, das bei leichtem Gabeldruck Segment für Segment zerfiel.
Ora King Lachs mit FenchelOra King Lachs mit seinem Rogen Pulpo Bouchotmuschel
Besser "kann" ein Lachs nicht schmecken und ohne Zweifel ein Edelfisch, um eine kleine Diskussion von anderer Stelle aufzugreifen.
Auch die Begleiter haben voll überzeugt: Die Bouchot(=Pfahl)Muscheln mit viel Fleisch, fest und salzig bei leichter süß-säuerlich nussiger Note. Die in Ringe geschnittenen Tintenfischtuben zart und mit schönen Röstnoten. Hier war erneut mit Piment d'Espelette und einem grünen Pulver (vermutlich dehydrierte Kräuter, Dill?) gearbeitet worden, aber viel vorsichtiger. Und schließlich die extra (haha!) gereichte, leicht aufgeschäumte Safransauce . Safransauce
die den Fisch herb umschmeichelte. Rundum fantastischer Teller.
Ganz sicher mehr als ein "ordentlicher Basiswein" dazu: Geheimrat J Riesling Spätlese trocken 2009 von Wegeler. Auf dem Höhepunkt seiner Kraft und Komplexität.
Meine Frau war ebenfalls hochzufrieden mit dem Lammfilet unter Kräuterkruste mit Aubergine, Paprika, Basilikum und (sehr mildem) schwarzen Knoblauch in unterschiedlichen Texturen
Lamm mit Kräuterkruste Aubergine Paprika sxhwarzer Knoblauch
Eine Provence-Reise jenseits der üblichen Gepflogenheiten.
Vor der Hinwendung zur dritten Stufe der Glückseligkeit (aka Desserts) erfrischte die Küche nicht etwa mit einem Sorbet, sondern mit einer Suppe von roten Beeren und Beeten. Erneut Wow! Regional, saisonal, eine Explosion von Geschmacksrichtungen, mal Frucht, mal Erde, mal Säure, mal Süße. Sicherlich auch durch das zugefügte Öl und die grüne Komponente (vielleicht Waldmeister?), die mir leider nicht mehr im Einzelnen erinnerlich sind. Knaller, natürlich auch farblich.
Erfrischung: Süppchen von roten Beeren und Beeten
Zumindest insoweit könnte das erste Dessert nicht mithalten. Brie de Meaux, umhüllt von einem Gelee von weißem Pfirsich, Datteln, Nüsse und nochmals der Pfirsiche in unterschiedlichen Ausführungen. Schön getroffen die Balance zwischen dem cremigen Käse und der Frucht, die hier nicht Begleiterin war, sondern gleichwertiger Kontrapart.Weißer PfirsichBrie de Meaux
Ein weißer Süßwein war nicht im Angebot. Schade.
Fein, aber nicht weltbewegend.
Vielleicht gut, denn so konnte das eigentliche Dessert seine ganze Großartigkeit ausspielen!
Glasierte Kirschen, gefüllt mit Haselnuss und Pistazienmarzipan auf einem Schokoküchlein. Die Mousse aus Guanajaschokolade ringelte sich verführerisch wie die paradiesische Versucherin um die auf verschiedenem Crumble gebetteten Sorbetnocken von Holunderblüten und von Kirschwasser
Schwarzwälder VerführungKirsche gefüllt mit Haselnuss und Pistazienmarzipan, Guanaja-Schokolade
Letzteres wäre eine nicht unpassende Begleitung gewesen, aber wenn schon, denn schon. Also ein Glas des Taylor's Quinta de Vargellas Vintage Port 2012. Noch sehr jung auf der Flasche, schon jetzt ein Genuss, kann aber auch noch 10 Jahre liegen, oder zwanzig. Länger nicht, dann bin ich vielleicht nicht mehr da, um nachzuschmecken...
Meine Frau hatte sich für das leichtere Dessert entschieden, Karotte, Amalfi Zitrone, Crême frâiche
Dessert: Karotte, Amalfi-Zitrone, Creme fraiche
Ein Blick,witzig. Ein Probierlöffel, erfrischend. Dann aber schnell zurück zu meinem Schwarzwälder Traum!
Nur die ganz Gierigen hätten jetzt noch nach dem sehr gut bestückten Käsewagen geschielt, dessen Köstlichkeiten von Herrn Scheper geduldig vorgestellt wurden. Unter äußerster Selbstbeherrschung gelang es uns, nur jeweils vier Sorten auszuwählen. Meine Frau tendierte zu kräftigeren Schafs- und Ziegenkäsen. Ich blieb, meiner Stimmung angemessen, bei milder Kuhmilch mit einem kräftigeren Blauschimmel zum Abschluss. Käse von Kuh
Da wir scheinbar den letzten Enthusiasmus schuldig blieben, pimpte die Küche die Milcherzeugnisse mit Honig und mit Feigensoße und nicht weniger als drei Relishes. kräftige Käsebegleiter
Für meine Auswahl hielt ich mich von den kräftigeren mit Zwiebeln oder mit Tomatenpaprika fern und setzte auf die ausgezeichnete Birnenvariante. Natürlich musste auch noch ein Stückchen der dazu gereichten hauseigenen knusprigen Mini-
Baguettes
knusprig...
probiert werden - Chronistenpflicht!
Einen Kaffee verschmähten wir gewohnt eisern.
Herr Extra entließ uns gleichwohl mit einigen Petits fours - u.a. Himbeermarshmallow, halbflüssiger (Marc de Champagne?)-Praline, Beerengazpacho - Nette Rauswerfer: petits fours
und einem netten Gespräch auf den verschlungenen Heimweg. Natürlich wurden wir an die Tür und auf Wunsch bis vor das Casino begleitet, in dem wir noch bei einen kleinen Absacker den phantastischen Abend Revue passieren ließen. Dabei kam uns wohl der Beleg abhanden, so dass der Preis eine Schätzung aus der Erinnerung ist. Die Menues kamen auf je ca. 100€.
Fehlt noch das Ambiente:
Gelegentlich neige ich ja zu leicht überbordenden Innenraumschilderungen. Aus gegebenen Anlass daher hier - neben dem Vermerk der (auch zu erwartenden) makellosen Sauberkeit - nur zwei Anmerkungen:
1. Im Nachgespräch informierte uns Herr Scheper engagiert, dass im Januar/Februar nächsten Jahres eine umfassende Renovierung anstehe. Ein modernes, elegantes, aber schlichteres Ambiente sei das Ziel. Und die Toiletten stünden ganz oben auf der Liste.
2. Letzteres ist bitter nötig. Braune Fliesen mit Messingaccessoires mögen im Landgasthof Heini Meierdierks in Niederschepenhusen noch für ein nostalgisches Schmunzeln sorgen. Im hiesigen Umfeld sind sie deplatziert und würden zweifeln lassen, ob die Geschäftsleitung an die eigene Sternegastronomie "glaubt". Im Restaurant regiert bis zur überfälligen Modernisierung eben noch ein paar Monate die plüschige Eleganz vergangener Jahrzehnte gepaart mit gefälliger Klaviermusik in Endlosschleife. Das mag dem Stammpublikum - aber übrigens auch den Michelinkritikern - gefallen. Aber nur wer sich ändert, bleibt sich treu (und spricht neues Publikum an). Da dies am Zwischenahner Meer nun wohl erkannt worden ist, enthalte ich mich weiterer Kritik und setze auf den Stil-Relaunch im kommenden Jahr.
Ein Grund mehr zum Wiederkommen!