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Essen ist Leben und zum Aufregendsten bei beidem gehört es, Neues kennen zu lernen.
So war ich freudig gespannt, als ich im Hamburger Nobelhotel Vier Jahreszeiten die Stufen zu dem vor sieben Monaten eröffneten Nikkei Nine herunter tapste. Eine Empfehlung von Henner Fischer, dem langjährigen Küchenchef des Bremer Topaz, mit dem ich die Begeisterung für's Fernöstliche teile.
Nikkei bezeichnet, so hab ich das verstanden, im weitesten Sinne Japaner und Japanisches außerhalb ihrer fernöstlichen Inseln. Und im Besonderen die Bereicherung der heimatlichen Küche mit südamerikanischen, speziell peruanischen Einflüssen. Die große japanische Community im Andenstaat ist selbst hierzulande in den Blick geraten, als dort ein Nikkei Präsident wurde.
Die Zahl Neun symbolisiert wohl wirtschaftlichen Erfolg und Glück und am Besten sollten sich neun Menschen um einen Tisch versammeln. Das mit dem Erfolg scheint am Neuen Jungfernstieg schon mal zu klappen, das Netz schäumt über vor beeindruckten Kritiken und manche Berühmtheit soll auch schon gesichtet worden sein.
Von mir jedenfalls nicht, was natürlich daran gelegen haben könnte, dass ich am Sonnabend nur einen Platz in der ersten Reservierungszeit (am Telefon hübsch denglisch "erstes seating" genannt) ab 18.00 Uhr ergattern konnte. So war ich auch noch eine halbe Stunde später einer der ersten Gäste, konnte daher recht ungeniert in Verhandlungen um einen angenehmen Tisch einsteigen. Zuvor war ich persönlich vom Check-in (mit schönem Wasserfall) abgeholt und um die Bar weiter hinunter in den großen (104 Plätze!), lang gezogenen Gastraum geführt worden, an den sich die für Gäste "umgehbare" Küche anschließt. Der erste Tisch wurde mir noch als "mitten im Geschehen" angepriesen, weiter muss man nichts wissen... Allerdings zeigte sich dann schon der sehr gute, auf den Gast fokussierte Service des Hauses. Auch mehrfach wechselnde Sitzwünsche des komplizierten Borgfelders wurden mit den Reservierungen abgeglichen und so ermöglicht, dass ich schließlich in einer der "private dining"-Nischen platziert wurde, die sowohl Ruhe, als auch einen Blick auf Bar und ankommende Gäste beinhalten. Danke sehr!
Statt des 1920er-Shanghai-Ambiente des ehemaligen Doc Cheng's dominiert nun die volle Dröhnung des metallenen Zeitgeschmacks aus Gold, Kupfer und Bronze, kombiniert mit warmen Hölzern von Cognac bis Schwarz und als DIE Loungefarbe schlechthin ein tiefes Violett. Nicht er-, sondern warm beleuchtet von fast unzähligen Lampen, Lichtinstallationen und illuminierten Kunstobjekten. Auch sonst viel aktuelle Kunst mit asiatischen Bezügen. Ein Kokon, zurück in die Zeiten, in denen Aufbruch Befreiung verhieß und nicht Unsicherheit. Im "2. Seating" legt der DJ Loungemusik auf zum Abtauchen und Wohlfühlen. Die frühen Gäste hören eingängigen Deep House vom Band. Stimmig. Unbedingt auf der Homepage unter Location die Galerie besichtigen.
Wie würde der Service hier sein? Japanisch zurückhaltend oder südamerikanisch emotional? Warm und entspannt wie das Ambiente oder eher norddeutsch-kühl wie die Szene?
Die Begrüßung war jedenfalls noch etwas - nun, nennen wir es hanseatisch. "Hochnäsig" wird außerhalb von Hamburg ja für etwas Negatives gehalten.
Davon war den Rest des Abends überhaupt nichts mehr zu spüren. Die Menschen im Nikkei sind ohne jede Frage ein Aushängeschild! Geführt vom souveränen Gastgeber Matthias Förster, der sich vorstellte und mehrmals an den Tisch kam, agierten alle Bedienungen gut geschult, höflich, aber entspannt. Meine kleinen Extra-Wünsche wurden gleichbleibend freundlich erfüllt, z.B. mehrfache oshibori, die heißen feuchten Tücher zur Erfrischung und Reinigung, hier mit Jasminduft. Besonderes Lob für S., die mich überwiegend umsorgte. Seit langer, sehr langer Zeit hatte ich nicht mehr einen so persönlich netten, ungekünstelten, dabei fachlich einwandfreien Service. Wir hatten im Wortsinn einen gemeinsamen Abend, freuten uns über gelungene Teller und sprachen über kleinere Schwächen. Ich durfte sogar ein Foto machen, um es meiner nicht minder wunderbaren Kollegin gleichen Namens zu schicken. Am Ende des Abends stand gar ein Lob als "ganz besonders guter Gast" - Hört, hört! Ich gebe das Kompliment gern zurück und zwar an die gesamte Crew und den Restaurantleiter. Auf der Homepage unter dem Punkt Team sind alle zu "besichtigen"; manch junger Dame sieht man die Freude über die Jasminblüten im Haar nicht wirklich an...
Dabei begann der Abend sogar mit einem Missverständnis. Das Prinzip der Nikkei cuisine und die Karte wurden erklärt, auch Tagesangebote und Abweichungen angekündigt. Für den Erstbesucher wurde das omakase-Menü empfohlen, also nach der Wahl des Küchenchefs. Verfügbar mit 4 oder 6 Gängen, aber im "ersten Seating" sei doch die kleinere Variante sinnvoller. Na, das hab ich vielleicht gerne! Erst den Gästen die Essenszeiten vorschreiben und dann einer Hälfte nicht das volle Programm bieten? Und darauf noch nicht mal bei der Reservierung hinweisen! Erschrocken folgte der Rückzieher: Nein, nein. Zeitlich passe auch die größere Variante. Die Gänge kämen dann nur in schnellerer Abfolge. Nun gut.
Natürlich entschied ich mich bei einem schön gekühlten Taylor's White Port (9€, hm) für die längere Reise (89€, mehr als ok) und wählte noch otoro, den fetten Thunfischbauch (11€, preiswert) dazu. Und den frisch von der Wurzel geriebenen Wasabi (10€, üblich, wenn überhaupt erhältlich), der etwas wässriger ist und eine mildere Schärfe hat.
Die weiße Brigade legte dann gleich ein Tempo vor, das mich befürchten ließ, schon deutlich vor Ablauf meiner Reservierungszeit aus dem Laden gehetzt zu werden. Ein paar Worte an Herrn Förster beendeten die Jagd und am Ende durfte ich noch "überziehen".
Als Amuse schickte die Küche ein Türmchen Thuntartar,
das u. a. mit Shiso und Queller recht würzig angemacht. Ein Deckel von Daikon und Yuzu-Gel. Etwas erwartbar, aber ansprechend gemacht.
Inzwischen war ich auf japanisches Iki-Bier umgeschwenkt, das Auszüge von Yuzu und grünem Tee enthält und schon sehr kalt in ein tiefgekühltes Glas eingeschenkt wurde. Der süffige, nur leicht bittere Geschmack mit dem Abgang nach der Zitrusfrucht traf voll meinen Geschmack. Der Preis von 9€ eher nicht.
Der Wasserservice (Leitungswasser aus kleiner Karaffe) klappte vorzüglich.
Der erste Gang war ein zwischen Sashimi und Ceviche stehendes Tiradito und damit typisch für die Nikkei Cuisine.
Um die aufgeschnittene rohe Flunder war eine Sauce auf der Grundlage von Ume-Pflaume, Orange und Yuzu drapiert. Auf den Abschnitten lagen konfuzianisch in Reih und Glied Passepierre-Algen, angenehm mild-pikante Chili und angeröstete kleine Reispops. Das ergänzte sich alles sehr schön, nichts dominierte. Gelungen.
Es folgte der zusätzlich gewünschte fette Thunfischbauch.
Zwei gute, kompakt geschnittene Stücke, an denen nichts auszusetzen war. Ich meine jedoch, vergleichbare Qualitäten auch in Düsseldorf schon mehrfach erhalten zu haben. Was ja nicht gegen das Nikkei spricht; es ist halt eine Frage der (durchaus auch geschürten) Erwartungshaltung. Dazu der frische Wasabi und die Haussauce, für die Sake mit Mirin lange eingekocht und dann wieder mit fertiger Sojasauce verlängert wird. Sehr ausgewogen, feine, süße Würze. Der nicht verbrauchte Meerrettich wurde für spätere Teller wieder in die Küche gebracht. Sehr aufmerksam. Ich durfte anscheinend noch mit einem Sushi-Gang rechnen.
Es ging weiter mit Tempura einer ganzen "soft-shell"-Krabbe.
Die papierne Haut und das sehr weiche Fleisch mag sicher nicht jeder. Der Geschmack ist aber sehr fein. Dazu gehobelte, marinierte Streifen vom Daikon-Rettich und eine Sojasauce, diesmal pikant mit Koriander, Chili als südamerikanischem Bestandteil und erneut Yuzu. Das war vom Produkt, der Sauce und vor allem handwerklich die bislang beste Leistung.
Den nächsten Gang hätte ich à la carte auf jeden Fall gewählt. Bauch vom (Apfel-)Schwein asiatisch
kann ich nicht widerstehen. (Zuletzt grandios vietnamesisch in The Slanted Door.)
Es war das Highlight des Abends. Sehr fett, sehr intensiv, sehr knusprig. Mit einer Sesam-Glace überzogen. Süffiger geht nimmer. Diesmal hatte die Haussauce mit mehr Mirin statt Schärfe eine süßere Note, die natürlich formidabel zum Schwein passte. Die Palmherzen waren (mit Thymian?) gedünstet, aber noch mit dieser an Apfel erinnernden, knirschenden Konsistenz. Und erneut die Daikonstreifen. Als ich das beim Ausheben in Bezug auf die "Chef's Choice" bemäkeln wollte, fiel mir der Ober ins Wort. Am Pass habe er noch mit bekommen, dass der Chef "sich auf die Finger gebissen habe", weil die Beilage nicht gewechselt wurde. Wie schön, wenn sich Küche und Gast einig sind;-))
Der Hauptgang kam nach einer angenehmen Pause, die ich für einen Besuch in den tadellosen Waschräumen nutzte. Zur Abwechslung angenehm hell, für mich etwas zu plakative Kunst (halbnackte Frauen in japanischem Umfeld) und eben neu und schick. Das gefällt.
S. hatte mir verraten, dass es Lamm geben würde und wir einigten uns auf eine südafrikanische Cuvée von Shiraz und Cabernet Sauvignon. Warum das der aktuelle Lieblingswein des Sommeliers sein soll, erschloss sich mir nicht. Oder eventuell doch: Die Flasche 2013 Raoul's Constable House kostet im Netz etwa 10€. Da liegt es nahe, dass das 0,15l-Glas ebenfalls mit 10€ abgerechnet wurde. Faktor 5 oder je nach EK mehr, ist ja normal... Die Flaschenweine sind dagegen auch für den Normalgast kalkuliert und bieten einiges im Bereich von 30 bis 50 Euro.
Schnell zu den drei Lammkoteletts, die schön heiß vom Robatagrill an den Tisch kamen und Unterschiede aufwiesen. Das erste Exemplar war recht zart, aber kauen musste man schon. Die anderen beiden waren die besten Lammchops, an die ich mich erinnern kann. Himmlisch saftig und unglaublich weich, ohne die Struktur zu verlieren.
Geschmacklich idealtypisches Lamm. Ein außerordentlicher Genuss. Meine zukünftige Referenz.
Der Rest des Tellers stand dem Fleisch kaum bis gar nicht nach.
Ich hätte nie gedacht, dass mir ein gegrillter Kräuterseitling so gut schmecken kann. Das sehr große Exemplar war kräftig gegrillt und vorher rautenförmig eingeschnitten worden. Entweder nur aus optischen Gründen oder wie z. B. bei Tintenfisch zur Erzielung einer weicheren Textur. Weißer Spargel gegrillt und als gehobelte Streifen konnte ebenfalls überzeugen, weil die Bestandteile des Tellers nicht gemischt wurden. Jedenfalls nicht von mir. Da standen dann schon sehr japanisch die Geschmäcker klar nebeneinander. Gar nicht nippon-style, dass es so kräftige waren. Denn auch Südamerika grüßte einmal mehr mit einer phantastischen Sauce Romanesco auf der Grundlage von ají-panca-Chili. Durch die Verarbeitung von Sauerteig wurde daraus ein ausgestrichenes säuerlich-pikant-fruchtiges Püree, das das kräftige Fleisch wunderbar ergänzte. Der getrennt gereichte warme Reis mit Sesam
tadellos, nicht zu viel Säure.
Die folgenden nigiri sushi kündigten das nahende Ende des Menüs an.
Sehr hübsch und knusprig der frittierte Kopf der Süßwassergarnele ama-ebi. Kleiner Knabberspaß. Für den Schwanz galt ebenso wie für tai/Brasse, maguro/mageren Thunfisch, hamachi/Gelbschwanzmakrele, sake/Lachs: Good, but not outstanding. Wobei ich nicht missverstanden werden möchte: Sehr empfehlenswerte Sushi, Reis ebenso wie tane/Belag. Kein Vergleich mit den üblichen, guten Sushiläden (und meine nicht, nie, never-ever AYCE-Kaitenläden). Aber auch da wäre ich natürlich gern in Welten vorgestoßen, die nie zuvor ein Borgfelder geschmeckt hat.
Leider hatte die Küche vergessen, dass ich noch frischen Wasabi hatte. Das wurde mir zwar mit den Nigiri wieder serviert, war aber nutzlos, denn alle Stücke waren schon mit der "Normalware" exakt bestrichen. Auch, wenn ich es einen Tick schärfer mag, war eine Ergänzung kaum möglich, ohne die Balance zu zerstören. Das fand ich ärgerlich, eine Verschwendung von Geld, schlimmer noch eines guten Produkts. Sachlich ausgesprochen, wurde die Kritik angenommen (zudem notierte der ältere Schlemmer: S. auf's Reizendste zerknirscht.)
Eine sehr hübsche Neuentdeckung war allerdings der von meinem Gastgeber empfohlene sparkling sake. Schön gekühlt, zunächst angenehm fruchtig süß, dann mit einem herben Nachhall. Ob Perlwein oder Flaschengärung, weiß ich mangels Erfahrung nicht zu sagen, wegen der leichten Trübung hoffe ich mal auf Letzteres. Der Preis von 14€ für den Fingerhut von 0,1l hätte anderenorts ebenfalls dafür sprechen mögen.
Nun blieb noch das Dessert.
Auf einer mit Zitronengras deutlich aromatisierten, gut gemachten Crême brulée schmolz eine Eis-Nocke, deren Grundlage Pandan-Essenz war. Dazu Kleckse des Yuzu-Gels, die eine Säuerlichkeit einbrachten und ein Blatt Gewürzschokolade. Für die Dessertliebhaber bestimmt eine exotische Freude, mir war es zusammen genommen etwas zu parfümiert.
Die zunächst angebotene Zweigelt Auslese sagte mir gar nicht zu. Der Rheingau Riesling mit viel Restsüße schon sehr viel mehr. Ging zudem auf's Haus, bei den Preisen der Offenen hier ein Segen.
Die herzliche Verabschiedung hatte ich schon erwähnt. Die freundliche Aufforderung, das Nikkei beim großen Kurzreise-Berater zu bewerten, musste ich gleichwohl empört zurück weisen.
Ein paar Fragen bleiben:
Empfehlung?
Ja, klar. Eine sehr interessante Küche, die derzeit hot-shit ist, sich aber (hoffentlich) in Hamburg lange halten wird. Zudem ein polarisierendes Ambiente, das man gesehen habe "muss".
Zu wenig Südamerika?
Nein. Nikkei bleibt japanisch. Die spanisch/mexikanisch/peruanischen Anleihen waren unauffällig, aber sehr wirkungsvoll. Eine echte Alternative zur Puristik des klaren Geschmacks.
Auf Augenhöhe mit den besten Japanern in Deutschland, gar in London?
Nicht für mich, noch nicht und ich glaube auch nicht, dass sich daran grundlegend etwas ändern wird. Da wird natürlich auf Wirtschaftlichkeit geachtet und die unbedingte Qualität etwas der Show geopfert. Schon (auch) für eine bestimmte Klientel. Von meinem POV leistet sich die Küche bei allem Können (gutes Handwerk, groß die Komposition und Abwechslung der Saucen!) zudem Nachlässigkeiten. Neben den schon beschriebenen durchaus auch solche im kreativen Bereich. Beispiel: Wann ist Yuzu zur einzigen asiatischen Zitrusfrucht geworden? Vom Amuse bis zum Dessert, keine Bergamotte, keine Calamansi, keine Buddha's Hand (wenn schon Show). Das ist schade, aber auch auszumerzen.
Daher folgt auf jeden Fall ein zweiter Besuch; bis auf Sonntag wird täglich sogar ein Lunch angeboten. Das lohnt doch mal eine Stippvisite, wenn man sich z.B. aus der Pfalz o. a. alljährlich gen Norden aufmacht!