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Der Name des Lokals und der Typus zweier dienstbarer Geister ließ Toskanisches erwarten. Die ihm die Pizzabrötchen nebst Butter- und eine Art Chili-Öl-Schälchen vorweg vom Haus darbietende blonde Fee deutete im Verbund mit einer in Gastmanns Nähe präsentierten Flasche klaren Inhalts mit der Aufschrift "Polska" und in der Form dessen Landesgrenzen jedoch darauf hin, dass es möglicherweise um die polnische Toskana ging, deren geografische Lage Gastmann bislang noch unbekannt war.
Die Speisekarte enzyklopädischen Umfangs hätte Gastmann bis zum frühen Abend beschäftigen können, allein soviel Muße ließen weder seine innere Uhr, noch die Betriebsabläufe zu. So blieb nach Aufgabe der Bestellung bei Gastmann am Tisch zunächst ein nicht näher definierbares Unbehagen hinsichtlich der zu erwartenden Frische und Qualität der Essenszutaten zurück.
Als sehr beruhigend registrierte Gastmann anschließend, dass sich anschließend ein offensichtlicher Mitarbeiter des Hauses am Rande des Speiseraums in Nähe zu den dort anschließenden Betriebsräumen niederließ, um sein Mittagsmahl genussvoll einzunehmen; hatte er doch einst in Nürnberg eine Angestellte eines Lokals ebendieses verlassen gesehen, um kurz darauf vollbepackt mit den in Papier und Kunststoff eingeschlagenen Fast-Food-Köstlichkeiten eines bekannten Franchise-Unternehmens zurückzukehren und diese mitten im Lokal an einem Tresen vor den Augen aller Gäste ihrem Verdauungsapparat zuzuführen. Diese unbekümmerte Demonstration ihres Vertrauens in die Küchenleistungen hatten seinerzeit Gastmanns Appetit spontan reduziert und seinen dortigen Besuch auf das unabwendbare Minimum verkürzen lassen.
Inzwischen hatte kurz nach einem einfachen trinkbaren offenen Rotwein (0,25l Valpolicella zu 3,80 €) der erste Teil seines Essens den Weg an Gastmanns Tisch gefunden, eine glücklicherweise auf eine (eigentlich speiseplanmäßig nicht vorgesehene, aber dann etwas zögerlich eingeräumte) kleinere Portion eines "Insalata Capricciosa" (Gemischter Salat mit Thunfisch, Zwiebeln, Tomaten, Gurken, Oliven zu 6,50 €) zu letztendlich 5,00 €. Dem mit der Bestellung geäußerte Wunsch nach einem milden Essig wurde entsprochen: Balsamico Crema und ein gutes Olivenöl wurden angeliefert. Nachdem anschließend umgehend jeweils eine blitzsaubere Acrylglasmühle für schwarzen Pfeffer und Kristallsalz folgten, war der Baukasten "Der kleine TV-Koch" komplett und der unausgesprochene an Gastmann gerichtete Imperativ: "Mach' es Dir selbst!' wortlos geäußert.
Gastmann, der dem Koch eigentlich nicht den Job streitig machen wollte, beschloss rachsüchtig, dem Kellner anlässlich der späteren Bezahlung den Experimentierbaukasten "Der kleine Numismatiker" über den Tisch zu schieben, damit sich dieser der Philosophie des Hauses entsprechend die Zeche selbst in Noten ausdrucken und in klingende Münze gießen könne.
Der verkleinerte Salat fand sich als geschichtete Komposition einwandfreier frischer Zutaten in immer noch ausreichender Größe wieder, dem Gastmann mittels der vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten der Dressing-Ingredienzien hinreichend Geschmack antun konnte. Genaugenommen - Gastmann war da pingelig - hatte er ja nun keinen "Gemischter Salat mit Thunfisch, Zwiebeln, Tomaten, Gurken, Oliven" erhalten, sondern einen "Gemischter Salat aus Thunfisch, Zwiebeln, Tomaten, Gurken, Oliven", was für ihn als Sprachfanatiker schon einen entscheidenden Unterschied ausmachte.
Beim Durcheilen des Speisenbuches war Gastmanns Blick an "Rigatoni Mexiko (scharf)" (Maccaroni mit Pilzen, Paprika und Hähnchenbrustfilet in Tomatensauce zu 7,50 €) hängengeblieben. Dieses Pastagericht war ihm traditionell-italienisch noch nicht bekannt und schien ihm einen Selbstversuch würdig zu sein. Spontan stiegen sämtliche mexikanischen Klischees vor seinem Auge, Ohr und Geschmack auf: Sonne, Staub, Hitze, Sombreros, Agaven, Santana, Cabo Wabo, Mezcal (mit Schmetterlingsraupe), Tortilla-Chips und feurige Schärfe - ihm lief jetzt schon das Wasser im Mund zusammen.
Eine großzügige Portion tomatenbesoßter Rigatoni wurde geliefert; die Nudeln "al dente"! Waren einige kleine Stückchen Hähnchenfleisch noch mit bloßem Auge erkennbar, so endete die investigative Recherche nach den Pilzen und Paprika mit kläglichem, wenn nicht vernichtendem Befund: etwa drei Dünnst-Scheibchen Pilze (Champignons) wurden zutage gefördert und Paprika war ein klarer Fall für die Spurensicherung. Eine gesunde Basis für Geschmack war ja da, dennoch erwies sich der Verbleib der Gewürzmühlen am Tisch nach Abtragen des Salattellers als nicht nur segensreich, sondern gar im Wortsinne als "Not-wendig". Gastmann, im Verbrauch von Natrium-Chlorid von jeher schüchtern, griff beherzt zur Salzmühle und brachte Geschmack an die Sache. Mit der Pfeffermühle eine "mexikanische Note" ins Schärfespiel zu bringen, schien aussichtslos und wurde mangels Schärfe-Substanz lieber gleich unterlassen.
Fazit: Das Nudelgericht war nach dem Nachsalzen durchaus essbar, sogar schmackhaft, hatte jedoch mit den Versprechungen der Speisekarte, geschweige denn mit den darüber geweckten Verheißungen nichts gemein. Weil sich gleich mehrere Reklamationsgründe für Gastmann ergaben, verzichtete er auf einen Einspruch um sich die Diskussion zu ersparen und sich nicht dem Verdacht auszusetzen, sein Essen rabattieren zu wollen.
Die abschließende Bitte nach einem Espresso Coretto Sambuca wurde vom freundlichen Service mit dem Gegenvorschlag "Vecchia Roma" gekontert. Der Espresso war dann wirklich gut und wahrscheinlich auch mit Vecchia Romagna versetzt. Der schmeckte dann nicht nur, sondern erwies sich als (auch ohne Reklamation) "auf Kosten des Hauses" als eine Gastmann mit der Welt wieder etwas versöhnende Geste.